Reisebericht Dr. Hermann Gärlich
Das Logbuch, ursprünglich vom englischen Wort log abgeleitet, ist per Definition „eine chronologische Aufzeichnung der Ereignisse und nicht zur Veröffentlichung bestimmt“. Aber wie soll man denn mit all den Erlebnissen und Eindrücken einer Reise auf der ‚Eye of the Wind‘ umgehen, wenn sie der Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit enthalten werden? Wir haben auf unserem Törn im Herbst 2012 von Vigo im nördlichen Spanien bis nach Santa Cruz de Tenerife so viel erlebt, dass es einfach raus muss!
Der Atlantik empfängt die Mitsegler-Crew
Die Gästecrew nutzte die Zeit vor der Ankunft der ‚Eye‘ in Vigo intensiv zur Teambildung. Neben einem Ausflug nach Santiago de Compostela wurde Vigo erkundet und auf die genaue Ankunftszeit der ‚Eye‘ gewettet. Die acht Gäste kamen also nicht als Fremde auf das Schiff, sondern als eine Gruppe alter Bekannter, ähnlich einer Klassenfahrt! Am Dienstagmorgen ging es dann an Bord. Das Schiff lag Dank der Ebbe so tief unter der Mole, dass wir es aus der Vogelperspektive erst einmal skeptisch betrachteten und als sehr klein empfanden. Aber das änderte sich nach dem Verlassen der Bucht von Vigo recht schnell. Als der Atlantik uns empfing, ging es der ‚Eye‘ wesentlich besser als uns. Es fehlte zwar noch der Wind, aber die langsame Fahrt mit Motor genügte mehrheitlich für den Anfang.
Rechts: Der erste Abend an Deck der 'Eye of the Wind'.
Die Kunst des Segelns
Mit herrlichen Sonnenuntergängen sowie stimmungsvollen Abenden und sternenklaren Nächten entschädigte uns der Atlantik für den Wellengang. Dann kam endlich Wind auf! Britta als 1. Maat sowie Cornel der Kapitän führten uns in die Kunst des Segelns ein. Nicht so einfach wie gedacht, mit über 120 Leinen rund ums Schiff – und das auch im Dunkeln. Nur gut, dass uns die Deckhands über die Schultern schauten und eingriffen, wenn es ernst wurde. Das Mitsegeln begann erst richtig beim Segel setzen, beim Umbrassen und Feinbrassen mit nassen Füßen und fand seinen Höhepunkt in einer Halse bei Windstärke 7. Unser Höhenmesser zeigte bei der Atlantikdünung Werte von – 7 m bis + 8 m, damit trug uns die ‚Eye‘ mit einer Amplitude von bis zu 15 Metern in ständigem Auf und Ab über den Nordatlantik.
Links: 120 Leinen, und jede erfüllt einen Zweck!
"Wer nichts erlebt, der kann nichts erzählen" - Naturgewalten auf dem Meer
Es wurden mit zunehmender Windstärke die Segel nacheinander geborgen und mit nur wenigen der Rahsegel am Vormast knackten wir die 10 Knoten-Marke. Einfach ein überwältigendes Erlebnis, wie die 101-Jährige mit dieser Geschwindigkeit (10 Knoten entspricht fast 20 km/h) diese harte See nahm. Auch auf uns selbst waren wir stolz, denn wir als Gästecrew bewältigten diese Naturereignisse hervorragend. Es kam noch besser, in einer der Nächte überrollte eine Welle, von Steuerbord kommend, das Schiff. Diejenigen, die in den Backbordkabinen lagen, schlugen unsanft gegen die Kojenwand. Steuerbords waren die Gäste dicht dran, die Koje im Flug hinter sich zu lassen. Die Wache konnte uns am Morgen vom Ereignis, es war 01:30 Uhr, berichten und die Videos vom folgenden vierstündigen nächtlichen Seegewitter erscheinen wie eine Dauerbeleuchtung des Atlantiks. Man muss es erlebt haben, denn hier gilt wieder "wer nichts erlebt, der kann nichts erzählen".
Der Wind bestimmt den Kurs und die Zeit
Es kamen auch noch einige ruhige Tage mit gutem Wind, kräftiger Dünung und Sonnenschein, so wollten wir es. Langweile kam nicht auf – neben dem Umbrassen, Segel hoch und runter, führte uns Kapitän Cornel in die Technik des Sextanten ein. Sicher weiß keiner mehr die sieben Korrekturkriterien für Refraktion und andere Prämissen oder die Zeit der nautischen Dämmerung. Mit den Möglichkeiten für die Gäste, selbst einmal den Winkel zwischen Sonne und Kimmlinie zu bestimmen, waren es aber ergreifende Einblicke in die Geschichte der Seefahrt. Der Wind bestimmte den Kurs, und so trieb uns der Wind nicht nach Madeira, sondern in Richtung Casablanca – auch nicht schlecht. Aber dann drehte der Wind auf Ost und wir nahmen Kurs auf Santa Cruz. Etwa 80 Seemeilen vor Teneriffa sichteten die Deckhands vom Vormast den Gipfel des Berges Teide, und das Kommando "Land in Sicht" zeigte das Ende des zehntägigen "Seeaufenthaltes ohne Land" an.
Rechts: Lektion zum Thema Sextant - der Kapitän hat das Wort.
Ankunft und Captain's Dinner in Teneriffa
Fast auf die Minute legte die ‚Eye‘ gegen 8:00 Uhr am Morgen in Santa Cruz an, und wir gönnten uns noch einen Tag und eine Nacht im Hafen. Jetzt blieben auch die Teller auf dem Tisch und das Besteck konnte einmal während der Mahlzeit abgelegt werden – wir lagen fest am Kai! Anlass für Smutje Frank, ein Abschiedsessen zu bereiten. Die Menüs auf See waren immer einige Sterne wert, bedurften jedoch zumeist erheblichen Geschicks beim Transport zum Tisch und im Handling beim Essen!
Der Crew ein Dankeschön und „allzeit gute Fahrt“!
Links: Am Morgen vor der Einfahrt in den Hafen von Santa Cruz.